Stellungnahme des Frauen*Volksbegehren zum 12-Stunden-Tag

Stellungnahme zum Antrag 303/A betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitszeitgesetz, das Arbeitsruhegesetz und das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz geändert werden sollen (303/A XXVI. GP – Initiativantrag)

Das Frauen*Volksbegehren spricht sich mit Nachdruck gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf aus. Er bedeutet aus unserer Sicht eine ungleich höhere Belastung für Frauen* und Familien, verstärkt das vorhandene beschäftigungspolitische Ungleichgewicht zwischen Frauen* und Männern* in Österreich und konterkariert damit jegliche gleichstellungspolitische Agenda. Außerdem werden die vorgeschlagenen Änderungen im Arbeitszeitrecht den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen in der Arbeitswelt und dem Bedarf nach innovativen, lebensphasengerechten Arbeitszeitmodellen in keinster Weise gerecht.

Wir halten fest, dass mit dem vorliegenden Initiativantrag der Regierungsparteien die generelle tägliche und wöchentliche Höchstarbeitszeit von bislang zehn bzw. 50 Stunden auf nunmehr zwölf bzw. 60 Stunden angehoben wird.1 Wir halten fest, dass die vorgeschlagenen Höchstarbeitszeiten (auch) schon bisher für bestimmte, über Betriebsvereinbarungen zu regelnde Ausnahmefälle oder kollektivvertragliche Sondertatbestände möglich waren.

Mit dem vorliegenden Initiativantrag sollen diese, in Einzelfällen möglichen Höchstarbeitszeiten von täglich zwölf Stunden bzw. wöchentlich 60 Stunden allerdings ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten durch Arbeitnehmer*innenvertretungen zur allgemeinen Regel werden. Dies liegt aus unserer Sicht auch daran, dass das im Initiativantrag vorgesehene Ablehnungsrecht für Arbeitnehmer*innen dem realen Machtgefälle und Verhandlungsungleichgewicht zwischen Arbeitnehmer*innen und Unternehmen nicht gerecht wird. Das gilt umso mehr für Frauen*, die einen weitaus größeren Anteil an prekären Beschäftigungen aufweisen und zu 23 Prozent im sogenannten Niedriglohnbereich tätig sind.

Standen bisher berücksichtigungswürdige Gründe – wie Betreuungspflichten – einer Überstundenanordnung als Quasi-Verbot generell entgegen, müssen Arbeitnehmer*innen im neuen Gesetzesvorschlag die Ablehnung der Leistung der elften und zwölften Überstunde nun mit „überwiegenden persönlichen Interessen“2 individuell ablehnen. Das führt unseres Erachtens zu einer Verschlechterung des Schutzes für Arbeitnehmer*innen.

Ingesamt handelt es sich bei diesem Gesetzesentwurf also zum einen um eine Arbeitszeitflexibilisierung ohne partizipative Spielräume und ohne Berücksichtigung vorhandener Lebensrealitäten von Menschen, zum anderen ist zu befürchten, dass der Zwölfstundentag und die 60-Stundenwoche zu einer De facto-Arbeitszeitverlängerung für alle führen werden.

Aus frauen*- und gleichstellungs-, familien-, gesundheits-, wirtschafts- und demokratiepolitischer Sicht ist dieses Vorhaben somit dringend abzulehnen und als rückschrittliche und in volkwirtschaftlicher Hinsicht unwirksame politische Maßnahme scharf zu kritisieren.

Aus frauen- und gleichstellungspolitischer Sicht weist das Frauen*Volksbegehren darauf hin, dass eine De facto-Arbeitszeitverlängerung zu einer Retraditionalisierung von Geschlechterverhältnissen und einem Revival des männlich dominierten Ein-Verdiener- Modells führen wird. Es werden überwiegend Frauen* sein, die eine elfte und zwölfte Überstunde ablehnen müssen, weil sie etwa Kinder betreuen oder Angehörige pflegen. Das wird ihnen Job-, Aufstiegs- und Bildungschancen rauben.

In Österreich werden jährlich 9,7 Milliarden Stunden an unbezahlter Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege und andere Sorgearbeit sowie ehrenamtliche Arbeit geleistet – zwei Drittel davon unbezahlt von Frauen.3 Diese ungleiche Verteilung von unbezahlter Arbeit, die gesellschaftlich allerdings genauso notwendig ist und erst die Voraussetzung für Erwerbsarbeit schafft, wird durch eine De facto-Arbeitszeitverlängerung nicht nur fortgeschrieben, sondern verstärkt. Es ist also damit zu rechnen, dass Frauen aufgrund der schlechten Unvereinbarkeit von Beruf und Familie – auch aufgrund nicht ausreichend ausgebauter Kinderbetreuungsmöglichkeiten – noch häufiger als bislang überlegen werden, ob sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können. Sie werden also noch stärker aus der Erwerbsarbeit in die unbezahlte Arbeit und damit in die ökonomische Abhängigkeit gedrängt.

Die Arbeitszeitforschung zeigt außerdem, dass lange Arbeitszeiten und verkürzte Ruhezeiten Unfälle und arbeitsbezogene Fehler wahrscheinlicher machen und zu gesundheitlichen Schäden führen können. Lange Arbeitszeiten sorgen dafür, dass Menschen schlecht erholt arbeiten, weniger innovativ sind und öfter krank werden; variable und flexibilisierende Arbeitszeitmodelle gleichen die gesundheitlichen Risiken keineswegs aus.4

Nicht zuletzt hat eine mit langen Arbeitszeiten einhergehende verminderte Leistungsfähigkeit und Innovationskraft von Arbeitnehmer*innen auch volkswirtschaftliche Auswirkungen: Mehrarbeit führt etwa im Dienstleistungs- und Wissenssektor nicht zu erhöhter Produktivität. Bezieht man Krankenstände und sonstige Arbeitsausfälle mit ein, kann es sogar zu einer Erhöhung von Gesundheitskosten und Abnahme der Gesamtproduktivität kommen. Auch die oben beschriebene Förderung des Ein-Verdiener-Modells ist volkswirtschaftlich bedenklich: Die Gesamtwirtschaft profitiert regelmäßig von einer erhöhten Erwerbstätigkeit von Frauen*.

Demokratiepolitisch nicht nachvollziehbar und zu kritisieren ist im Übrigen, dass der Gesetzesentwurf von der Bundesregierung ohne vorhergehende, breit angelegte gesellschaftliche Debatte als Initiativantrag unter Verzicht auf ein Begutachtungsverfahren und eine erste Lesung eingebracht wurde. Einer angemesseneren parlamentarischen Behandlung steht außerdem entgegen, dass der Antrag in den Ausschuss für Wirtschaft, Industrie und Energie und nicht dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zugewiesen wurde, der für Änderungen, die das Arbeits- und Sozialrecht betreffen, zuständig wäre.

Angesichts aller oben angeführten Nachteile und des gleichstellungspolitischen Rückschritts, der mit diesem Gesetzesentwurf zu erwarten ist, fordert das Frauen*Volksbegehren die Regierungsparteien dringend auf, den vorgelegten Gesetzesentwurf in dieser Form nicht umzusetzen und stattdessen unter Einbindung der Zivilgesellschaft einen breiten Diskurs über notwendige Veränderungen in der Arbeitszeitpolitik und den entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu führen.

Das Frauen*Volksbegehren geht zum Wohle aller Menschen in Österreich in der Arbeitszeitpolitik einen anderen Weg. Wir sind davon überzeugt, dass eine zukunftsfähige, geschlechtergerechte Wirtschaft und Gesellschaft andere Modelle braucht: Daher sprechen wir uns für eine allgemeine 30-Stunden-Woche aus, die schrittweise eine faire Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit schafft. Denn Arbeit geht für alle Menschen – darunter überproportional häufig und quantitativ stärker vor allem für Frauen* – auch nach Betriebsschluss in Form unbezahlter Arbeit weiter. Die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen in Österreich anzuerkennen und ihnen ein existenzsicherndes und gutes Leben zu ermöglichen, muss das Ziel jeder gesetzlichen Arbeitszeitregulierung sein.

Für echte Chancengleichheit! Für echte Veränderung!

Mit freundlichen Grüßen

Mag.a Schifteh Hashemi Gerdehi, MIM (CEMS)
Sprecherin, Vereinsobfrau
schifteh@frauenvolksbegehren.at

Christian Berger, BA
Sprecher, stv. Vereinsobmann
christian@frauenvolksbegehren.at

1Siehe § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz „Neu“.
2 Siehe § 7 Abs. 6 Arbeitszeitgesetz „Neu“.
3 Statistik Austria, Zeitverwendungserhebung 2008/09 (2009).
4 Nachreiner/Rädiker/Janßen/Schomann, Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Dauer der Arbeitszeit und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung (2005); Wirtz/Nachreiner/Brenscheidt/Siefer, Lange Arbeitszeiten und Gesundheit. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (2009); Dorsemagen/Krause/Lehmann/Pekruhl, Flexible Arbeitszeiten in der Schweiz. Auswertung einer repräsentativen Befragung der Schweizer Erwerbsbevölkerung (2012); Berniell/Bietenbeck, The effect of working hours on health. IZA Discussion Paper No. 10524 (2017).