Wahlfreiheit, ein Problem der Einkommensschichten, ein Problem der Regionen

Obwohl die Datenlage zum Thema Kinderbetreuung äußerst schlecht erfasst ist, zeichnen sich bei genauerer Recherche massive Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen Österreichs ab. Wer am Land lebt hat wesentlich schlechtere Chancen auf ausreichendes Angebot als Städter. Auch unter den Bundesländern gibt es grobe Schieflagen. Diese betreffen die Betreuungszeiten, die Schließtage, sowie die Zahl der Plätze. In allen drei Kategorien schneidet etwa Vorarlberg am schlechtesten, Wien am besten ab.[1] Wer sich nicht auf öffentliche Einrichtungen verlassen kann, muss zu den teureren Privateinrichtungen (Kindergärten und Kitas) gehen. Die Kosten hierfür belaufen sich etwa in Tirol für eine Vollzeitbetreuung auf etwa 340 Euro pro Kind und Monat. Nur eine Hand voll Kindergärten in Innsbruck bieten aber eine solche Vollzeitbetreuung überhaupt an. Deshalb müssen Kinder aufgrund der Begehrtheit der Plätze bis zu einem Jahr früher angemeldet werden, um tatsächlich unterkommen zu können. Selbiges trifft auch auf die Kindertagesstätten zu. Sofern vorhanden, sind diese so ausgelastet, dass eine Anmeldung unter Umständen noch während der Schwangerschaft zu erfolgen hat. Vorderste Voraussetzung bleibt jedoch, dass die persönlichen Finanzen die Entrichtung der stolzen Gebühren zulassen. Speziell Eltern mit niedrigem Gehalt kommen aufgrund dieser Ausgangssituation schnell in materielle Bedrängnis. Wenn die Kindeserhaltung zum Luxus und seine Betreuung mit einer Vollzeitstelle schlicht unvereinbar wird, sind immer mehr Paare gezwungen, auf die Erfüllung ihres Kinderwunsches aus finanziellen Gründen zu verzichten.

Ein Szenario

Frau ist mit 25 zweifache Mutter und Alleinerzieherin. Da sie vom Land in die Stadt zog, hat sie weder ein breites soziales, noch familiäres Netzwerk vor Ort. Die Landflucht geschah nicht ohne Ambitionen. Aus einem Arbeiterhaushalt stammend, will frau als erste in der Familie einen Studienabschluss machen. Sollte ihr das gelingen, gehört sie zu einer Minderheit. In Österreich wird Bildung nämlich vererbt. 54% der Akademikerkinder studieren selbst einmal. Nur 6% der Arbeiterkinder hingegen, verlassen die Uni mit einem Abschluss[2]. Die Frau ist sich selbst überlassen und trägt dabei noch die Hauptverantwortung für ihre Kinder. Der Vater zahlt zwar Alimente, aber zum Leben reicht es nicht für alle drei. Das angefangene Jurastudium hat sich erledigt. Wer soll auf die Kinder aufpassen? Frau muss die ersten 3 Lebensjahre ihrer Töchter überbrücken. Erst danach öffnen die Kinderbetreuungsstellen ihre Pforten. 1 Jahr lang Karenz und 2 Jahre Notstandshilfe überbrücken diese Zeit. Nur als berufstätige Mutter wird es ihr erlaubt, die Kinder schon vor 8 Uhr in den Kindergarten zu bringen. Nur als Berufstätige darf sie sie erst nach 13 Uhr abholen. Da liegt einzig ein Teilzeitjob im Bereich des Möglichen, da ja auch die Kinderbetreuung nur halbtags angeboten wird. Die Arbeitgeber sind von den Rahmenbedingungen alles andere als begeistert. 2 Kinder und keine Unterstützung. Das bedeutet für jeden zukünftigen Boss ein hohes Ausfallsrisiko. Beruflicher Aufstieg ist so kaum denkbar, die Bezahlung ist relativ schlecht, denn frau muss nehmen, was sie kriegen kann. Obendrein ist der Kindergarten , angepasst an die Schulen, 14 Wochen im Jahr geschlossen. Der Urlaub reicht aber nur für 5. Was tun? Das Leben ist hart und unvorhersehbar. Eine kaputte Waschmaschine hat das Zeug zur existenziellen Bedrohung. Der Ausweg aus der Abwärtsspirale ist nicht in Sicht.

Etwas muss sich ändern

Will man das großartige Potenzial weiblicher Arbeitskräfte nutzen, will man Familien entlasten, will man Kindern früh den Weg zu einer guten Bildung ebnen, will man die Bereitschaft überhaupt Kinder in die Welt zu setzen in einer stetig alternden Gesellschaft steigern, so ist die Installation eines Gesetzesanspruchs auf qualitativ hochwertige Kinderbetreuung ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung. Das beschriebene Szenario ist nicht erfunden. Es ist vielmehr ein aus dem Leben gegriffener Tatsachenbericht. Auch die Frau im Beispiel ist kein Hirngespinst, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und sie ist bei weitem keine Ausnahme.

Ihr Status quo ist das Gegenteil von Wahlfreiheit. Er verschärft bestehende Schieflagen und kreiert ein von finanziellen Zwängen dominiertes Leben. Zu oft müssen Frauen* entweder auf Familie oder Karriere verzichten, da für die Vereinbarkeit von beidem zu wenig Rahmenbedingungen geschaffen sind. Diese Opferbereitschaft darf nicht länger vorausgesetzt werden. Sie ist individuell ebenso unzumutbar wie sie kollektiv gesellschaftsschädigend wirkt.

Wahlfreiheit heißt, wählen zu können, welches Leben wir anstreben wollen. Wahlfreiheit heißt aus eigener Kraft entscheiden und steuern. Dieser Option werden zu viele Frauen* beraubt, wenn sie sich nicht gegen Teilzeit und lange Karenzen entscheiden können, wenn sie am Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Mutterschaft diskriminiert werden und als Alleinerzieherinnen unter exorbitant hoher Armutsgefährdung leiden. Viele schlaflose Nächte, Zukunftssorgen und Existenzängste könnten ihnen erspart bleiben, würden wir beginnen neue Standards zu setzen. Es ist Zeit für echte Entlastung, echte Wahlfreiheit und echte Gerechtigkeit: Zusammen können wir eine bessere Zukunft für ÖsterreicherInnen einfordern: Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung jetzt!

Raphaela Tiefenbacher

[1] Oswald, Günther (2017): „Kinderbetreuung: Ausbau ist laut Gemeinden gefährdet“. derStandard.at. Abgerufen am 27. 02. 2018 von https://derstandard.at/2000059430443/Kinderbetreuung-Ausbau-ist-laut-Gemeinden-gefaehrdet.

[2] Arbeiterkammer(2018): „Bildung und Soziale Mobilität – Immer mehr nur ein Versprechen?“. Abgerufen am 27. 02. 2018 von https://wien.arbeiterkammer.at/service/veranstaltungen/rueckblicke/Bildung_und_Soziale_Mobilitaet.html.

Das Frauen*volksbegehren fordert:

  • Den Rechtsanspruch auf kostenlose, qualitativ hochwertige Betreuung für jedes Kind bis zum 14. Lebensjahr, unabhängig vom Alter des Kindes, Wohnort oder Erwerbsstatus der Eltern
  • Die Vereinbarkeit der Betreuungseinrichtung mit einer Vollzeitberuftstätigkeit der Eltern, also ganztägige und ganzjährige Öffnungszeiten sowie leichte Erreichbarkeit
  • Vereinheitlichte bundesweite Qualitätsstandards für eine bedarfsorientierte Betreuung und eine individuelle (Früh-)Förderung

Details zur der Forderung „Wahlfreiheit ermöglichen“