Menstruation ist nicht pink
von Kerstin Mayerhofer*
Pinke Plastikhandschuhe
Im April 2021 vermarkten zwei cis Männer und – das betonen beide mehrfach – ehemalige Soldaten der deutschen Bundeswehr, ihr Projekt „Pinky Gloves.“ Sie bitten in einer bekannten TV-Show, die Pitches von Start Ups präsentiert und förderungswürdige Projekte auswählt, um Finanzierung für die Produktion eines Produkts, das Frauxn und Personen, die menstruieren, bis jetzt schmerzlich vermisst haben. Sie produzieren pinke Plastikhandschuhe, mit denen Personen, die menstruieren, ihre Menstruationsprodukte nach der Nutzung „blickdicht,“ „diskret“ und „hygienisch“ entsorgen können. Mit der Lösung für dieses „unangenehmen“ Problems sind die beiden cis Männer laut eigener Aussage zu perfekten „Frauenverstehern“ geworden. Zu den Vorteilen des Produktes gehören, ebenfalls laut eigener Aussage, dass die menstruierende Person sich nicht mehr direkt und unbehandschuht anfassen muss und dass damit auch der Anblick entsorgter Produkte Anderen erspart bleiben kann. Gemeint sind natürlich Männer, so wie die beiden Unternehmensgründer, die sich, wieder gemäß eigener Angaben, „verwundert“ zeigen über das, was sie beim „Blick in den Badezimmereimer“ erhaschen. Es bleibt die Fragen offen, warum sich diese beiden und viele andere Männer offensichtlich von Mülleimern magisch angezogen fühlen. Übrigens, angesprochen werden – sowohl auf der Internet und Social Media Präsenz des Unternehmens als auch während der TV-Sendung – natürlich nicht menstruierende Personen, sondern „Frauen.“ Bezeichnet werden sie aber, etwa in der Referenz-Spalte auf der Unternehmenshomepage, trotzdem als „Kunden.“ Am Ende ihres TV Auftrittes erhalten die beiden Unternehmensgründer von einem weiteren cis Mann eine finanzielle Förderung für ihr Produkt im mittleren fünfstelligen Bereich.
Und das obwohl an diesem Produkt im Jahr 2021 so einiges falsch ist. Etwa der fehlende Bezug zu den potentiellen Käufer:innen des Produkts. Oder der paradoxe Umweltschutzgedanke. Menstruationsprodukte sollen nicht im WC entsorgt werden. Stattdessen aber in Einwegplastik verpackt. Klingt komisch. Macht aber Sinn. Green Washing nennt sich diese Taktik. Sie wird in diesem Produkt mehr oder weniger gekonnt auch noch mit Feminist Washing verknüpft. Es suggeriert dabei Frauxn und Personen mit Menstruation einen Tabubruch, der keiner ist.
Worum es wirklich geht
Ein Shitstorm gegen die Handschuhproduzenten bleibt, Social Media sei Dank, nicht aus. Das Problem dabei – mit dem Hashtag #pinkygloves bekommt das Produkt gleichzeitig große mediale Reichweite. Auch Befürworter:innen melden sich zu Wort und sprechen sich, wenn schon nicht für die Sinnhaftigkeit des Produkts, dann zumindest für das Recht auf freie Marktwirtschaft aus. Tatsächlich geht es aber nicht darum, ob das Produkt gekauft oder nicht gekauft wird.
Wirklich problematisch ist, und das zeigen letztlich auch die pinken Plastikhandschuhe bei allem Versuch des Feminist Washings, dass Menstruation auch heute, im Jahr 2021, immer noch zu den größten Tabus in unseren Gesellschaften gehört. Daran geknüpfte Vorstellungen und Bewertungen waren und sind untrennbar mit dem Patriarchat verbunden. Ein weißer, cis männlicher Blick bestimmt seit jeher wie wir Menstruation wahrnehmen, egal ob wir selbst menstruieren, oder nicht. Blut außerhalb des Körpers ist immer zugleich faszinieren und abschreckend, es verdeutlicht uns unsere Endlichkeit und ist gleichzeitig ein untrüglicher Beweis für Lebendigkeit. Für Menstruationsblut müsste das umso mehr gelten. Tut es aber nicht.
Menstruationsblut ist etwas Schändliches, mit Scham und Ekel gleichermaßen behaftet. Diese Vorstellungen gehen zurück bis weit in die Antike, noch weit vor unserer Zeitrechnung. Unter allen Flüssigkeiten des menschlichen Körpers nimmt das Menstruationsblut, wie nur wenige andere, eine Sonderstellung ein. Es ist ein Zeichen dafür, dass der menstruierende Körper neues Leben entstehen lassen könnte. Gleichzeitig ist es ein Makel, der untrennbar mit jenen Körpern verbunden ist, die über einen Uterus (aus dem das Menstruationsblut kommt) verfügen und zumeist als weiblich gelesen werden. Menstruationsblut soll daher, wenn es nach der patriarchal geprägten Mehrheitsgesellschaft geht, unter allen Umständen im Verborgenen bleiben. Menstruation soll nicht besprochen werden, Produkte zur Menstruationshygiene sollen unsichtbar bleiben, egal ob im Austausch unter menstruierenden Menschen, in ihrer Verwendung oder in ihrer Entsorgung. Das Blut, das von Körpern mit Uterus produziert wird, soll am besten gar nicht erst in Erscheinung treten. Überhaupt, besonders DIESE Körper sollen gemanaged, kontrolliert und möglichst marginalisiert werden. Weil sie nicht der Norm entsprechen, denn diese ist cis, männlich und weiß.
Warum pink?
Seit dem 19. Jahrhundert werden die Farben pink und blau verwendet um Gender zu markieren. Adelige Kinder wurden entsprechend eingekleidet, neue Techniken hatten das Herstellen von und Färben mit Pastellfarben ermöglicht, die man nun gern zur Schau trug. Pink wurde zur Farbe von Kindern und Personen, die als weiblich gelesen wurden. Mehr denn je findet die Farbe Pink heute ihre Anwendung in der Vermarktung von Produkten, die sich an Frauen und auch an Personen mit Uterus wenden. Die pinken Plastikhandschuhe stehen also in einer langen Tradition. Die Assoziation von menstruierenden, vornehmlich aber weiblichen, Körpern mit der Farbe pink allerdings verdeutlicht zusätzlich ihre patriarchale Geringschätzung. Körper von Frauxn werden damit in den Bereich der Verniedlichung gerückt und nicht als gleichwertige Körper respektiert.
Menstruation ist nicht pink!
Es ist höchste Zeit, dass wir Menstruation enttabuisieren und menstruierende Körper entstigmatisieren. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung menstruiert. Menstruation ist die Grundvoraussetzung für den Fortbestand der Menschheit. Und sie ist nichts mehr, aber auch nichts weniger, als ein komplexer biologischer Prozess in menschlichen Körpern mit Uterus. Wenige Personen, die menstruieren, sind stolz auf die Menstruation. Aber es werden mehr. Menstruation und Menstruationsblut rücken langsam zurück ins Bewusstsein von Personen, die menstruieren. Dazu beigetragen haben auch neue Produkte zur Menstruationshygiene, die die Menstruation nicht unsichtbar machen, sondern deren Handhabe auch zu einer aufmerksamen Auseinandersetzung mit dem Vorgang aufruft. Dazu gehören etwa Menstruationstassen oder Menstruationswäsche, bei denen das Blut außerhalb des Körpers sichtbar wird und bleibt. Viele dieser Produkte werden von Frauxn und Personen mit Menstruation entworfen, produziert, vermarktet und vertrieben. Eine finanzielle Förderung ähnlich jener, die die pinken Plastikhandschuh-Erfinder nun zugesagt bekommen haben, haben diese Unternehmen wie Erdbeerwoche, ooia, oder Thinx nicht erhalten, schon gar nicht medienwirksam.
Wir müssen Menstruation aus einem patriarchal geprägten Diskurs von Scham und Ekel loslösen. Dazu gehört sie sichtbar zu machen. Im Klartext darüber zu reden. Unsere Menstruationsprodukte nicht zu verstecken. Und vor allem – uns nicht zu schämen. Für Frauxn und Personen mit Menstruation ist das eine der wichtigsten feministischen Selbstermächtigungen. Folgen wir gemeinsam diesem Weg. Egal ob wir selbst menstruieren oder nicht.
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* Kerstin Mayerhofer studierte Judaistik und forscht zu Geschlechtern, Sexualitäten und Diskriminierungsmechanismen an der Schnittstelle von Geschichte und Religionswissenschaft. Für ihr Dissertationsthema der jüdischen „männlichen Menstruation“ erntet sie regelmäßig verwunderte Blicke, vor allem von cis Männern.
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