Gewalt an Frauen – ein gesellschaftliches Problem
„Nicht der dunkle Park ist der gefährlichste Ort für die Betroffenen, sondern das eigene Zuhause.“ So steht es auf der Website des Vereines Autonome Österreichische Frauenhäuser, der sich als Informationsstelle gegen Gewalt versteht.
Gewalt ist vor allem gegen Frauen* gerichtet: So ist etwa jede fünfte Frau* über 15 von Gewalt betroffen, drei Viertel aller Frauen* haben in ihrem Leben bereits sexuelle Belästigung erfahren.
Maria Rösslhumer kennt die schmerzlichen Leidensgeschichten vieler Frauen*. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser. Seit 1998 leitet der Verein auch die Frauenhelpline gegen Gewalt, eine telefonische Beratungsstelle, die rund um die Uhr besetzt ist und mehrsprachig geführt wird.
Im Interview klärt Rösslhumer über die verschiedenen Formen der Gewalt auf und erklärt, warum hohe Kosten durch Gewaltprävention vermieden werden können.
Was versteht man unter „Gewalt an Frauen“ und wer übt diese aus?
Gewalt passiert tagtäglich an vielen Orten, in vielen Ländern weltweit, in der Öffentlichkeit, aber besonders häufig in der eigenen Familie in den eigenen „vier Wänden“. Häusliche Gewalt bezeichnet Gewalt zwischen erwachsenen Menschen, die in einer Beziehungspartnerschaft stehen oder leben. Gewalt wird von einem Partner eingesetzt, um den anderen zu kontrollieren und Macht auszuüben. Diese Partner können verheiratet sein oder nicht. Sie können heterosexuell oder homosexuell sein, zusammen oder getrennt leben.
Frauen sind überproportional häufiger von häuslicher Gewalt/Partnergewalt betroffen als Männer. In Österreich ist jede 5. Frau Opfer von Gewalt durch ihren eigenen Partner, daher nennt man Gewalt an Frauen geschlechtsspezifische Gewalt. Und jährlich werden mehr als 2 Frauen pro Monat von ihrem Partner ermordet.
Auch Kinder und Jugendliche sind häufig von häuslicher Gewalt betroffen, sei es direkt oder indirekt. Studien belegen, dass in 70 Prozent der Fälle, in den Frauen Gewalt durch die eigenen Ehemänner und Lebensgefährten erleben, auch die Kinder misshandelt werden. Je häufiger und schwerer Frauen misshandelt werden, desto gravierender und massiver ist auch die Gewaltanwendung an Kindern. Aber auch dann, wenn Kinder nicht Gewalt am eigenen Leib erleben, so wird ihnen durch das Miterleben an Misshandlungen und Drohungen gegenüber der Mutter Gewalt angetan.
Meist sind Männer diejenigen, die Gewalt an Frauen und Kindern ausüben. Es gibt keine typischen Gewalttäter. In der Öffentlichkeit scheinen diese Menschen freundlich und im Umgang mit Frauen und Kindern fürsorglich zu sein. Meist sind sie nur hinter verschlossenen Türen gewalttätig, verletzend und kontrollierend. Gewalt an Frauen und Kindern passiert nie aus Versehen. Es geschieht nicht, weil jemand unter Stress steht oder zu viel getrunken hat oder arbeitslos ist. Gewalt wird in der Regel bewusst eingesetzt, um einen anderen zu erniedrigen, zu kontrollieren und „klein“ zu machen. Die meisten Gewalttäter übernehmen keine Verantwortung für ihr Handeln und Tun, sondern sie haben viele Argumente, Rechtfertigungen und Entschuldigungen parat. Nur wenige sind bereit, ihr gewalttätiges Verhalten als ihr Problem anzuerkennen, an dem sie arbeiten müssen.
Gewalt an Frauen beginnt nicht bei einer Ohrfeige oder bei einer Beschimpfung. Sie beginnt bei ungleichen Herrschaftssystemen und Machtstrukturen, daher spricht man auch von struktureller Gewalt. Neben der strukturellen Gewalt gibt es die sogenannte personelle Gewalt, die alle Frauen treffen kann, unabhängig von Herkunft, Religion, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder gesellschaftlichen Schichten: körperliche, psychische, sexuelle und finanzielle Gewalt. Meist erleben Frauen alle Formen der Gewalt in Kombination.
Diese Formen sind: körperliche Gewalt, psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt, finanzielle/ökonomische Gewalt, Stalking bzw. beharrliche Verfolgung (Psychoterror) und neue Formen der Gewalt wie Internetgewalt. Alle Formen finden Sie ausführlich auf der Website der Frauenhotline.
Würden Sie sagen, dass Gewalt an Frauen ein gesellschaftliches Problem darstellt?
Gewalt ist ein großes geschlechtsspezifisches Phänomen und kann wie bereits eingangs erwähnt nicht losgelöst von gesellschaftlichen Machtstrukturen betrachtet werden. Wir nennen Gewalt an Frauen auch strukturelle Gewalt. Auch die Istanbul-Konvention hält fest: „Gewalt gegen Frauen ist der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frau durch den Mann und zur Verhinderung der vollständigen Gleichstellung der Frau geführt haben“.
Daher ist es wichtig, Gewalt nicht losgelöst von der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu sehen. Solange Frauen noch immer im gesellschaftlichen und politischen Leben diskriminiert und benachteiligt werden, weniger verdienen, weniger Karrierechancen haben und von Armut bedroht und betroffen sind, wird Gewalt an Frauen nicht aufhören bzw. das hohe Ausmaß der Gewalt an Frauen nicht beendet werden können. Denn Chancenungleichheit und Benachteiligung kann zu Missbrauch und Abhängigkeit führen.
Was kann jede/r Einzelne von uns tun?
Jeder und Jede kann etwas tun! Personen aus dem Umfeld der Betroffenen sollen hinsehen und nicht wegschauen und überlegen wie sie helfen können! Nachbarn und Nachbarinnen können die Polizei holen oder die Frauenhelpline anrufen und sich Ratschläge für ein adäquates Handeln holen. ArbeitskollegInnen, BetriebsrätInnen können Informationsmaterial über Hilfseinrichtungen auflegen oder Plakate aufhängen, wo die Nummern von Hilfseinrichtungen aufscheinen. Betriebe und Organisationen können Workshops und Schulungen zum Thema Gewalt für die gesamte Belegschaft organisieren und durchführen. Alle sollten wissen, wo es Beratungsstellen und Hilfe gibt.
Was kann eine von Gewalt betroffene Frau* tun?
Eine gewaltbetroffene Frau hat mehrere Möglichkeiten. Wichtig ist, dass sie sich Hilfe holt. Je früher umso besser. In einer akuten Situation raten wir sofort die Polizei unter der Nummer 133 zu verständigen. Die Polizei kann eine gewalttätige Person sofort aus der Wohnung wegweisen lassen. Bevor eine Frau weitere Schritte setzt, kann sie sich bei der Frauenhelpline gegen Gewalt unter der kostenlosen Nummer 0800/222 555 beraten lassen und die wichtigsten Informationen holen. Die Mitarbeiterinnen der Frauenhelpline stehen rund um die Uhr, auch nachts, am Wochenende und sonn- und feiertags. Die Beraterinnen sind zur absoluten Vertraulichkeit verpflichtet. Auf Wunsch können Anruferinnen auch anonym bleiben. Wenn sich eine Frau zu Hause nicht mehr sicher fühlt, hat sie auch die Möglichkeit vorrübergehend in einem Frauenhaus Schutz zu suchen. Darüber hinaus gibt es spezifische Einrichtungen, je nach Situation und Gewaltformen. Alle Informationen dazu finden Sie unter: www.frauenhelpline.at.
Welche (staatlichen) Maßnahmen können aus ihrer Sicht getroffen werden, um Gewalt gegenüber Frauen* und Kindern zu verhindern?
Der Staat ist verantwortlich Gewalt an Frauen und Kindern zu verhindern und alles zu tun, um gewaltbetroffenen Frauen und Kinder zu unterstützen, generell und mit größter Sorgfaltspflicht für jede einzelne Frau. Die österreichische Regierung ist beauftragt, die Empfehlungen der Istanbul-Konvention umzusetzen, die Österreich 2014 ratifiziert hat.
Dabei gibt es viele Maßnahmen, die gesetzt werden müssen. Um Frauen und Kinder besser vor Gewalt zu schützen, braucht es eine umfangreiche und langfristige Gesamtstrategie, bzw. einen nationalen Aktionsplan, die/der alle Formen der Gewalt an Frauen und Kinder miteinbezieht. Es braucht laufende Bewusstseinskampagnen in der Öffentlichkeit und Gewaltpräventionsangebote in Kindergärten, Schulen und in allen Bildungseinrichtungen. Auch der unbürokratische und sofortige Zugang für alle Frauen in Gewaltschutzeinrichtungen muss gewährleistet werden. Frauen mit Behinderungen, Migrantinnen und Frauen mit prekärem Aufenthaltsstatus müssen barrierefreien Zugang zu geschützten Plätzen in Frauenhäusern erhalten.
Aber auch die Justiz muss dahingehend geschult und sensibilisiert werden, Gewalt nicht zu verharmlosen. Es muss sichergestellt werden, dass Täter bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die dringende Empfehlung lautet daher, verpflichtende Curricula zum Thema Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in die Ausbildungen der angehenden RichterInnen und StaatsanwältInnen zu integrieren und gesetzlich zu verankern.
Wie hoch schätzen Sie die Kosten für Präventivmaßnahmen ein im Vergleich zu Kosten, die durch Gewalt entstehen?
Häusliche Gewalt ist sehr teuer! Es kostet dem österreichischen Staat laut einer EU Studie aus dem Jahr 2011, 3,7 Milliarden Euro pro Jahr.
Um diese Ausgaben zu senken sollte ein Bruchteil davon in die Verhinderung sprich Prävention von Gewalt investiert werden. Daher fordern wir eine dringende Aufstockung des Frauenbudgets bzw. Investition von 10 Prozent dieser Folgekosten von Gewalt in die Gleichstellungs- und Gewaltprävention und damit eine Erhöhung des Budgets des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen auf 210 Millionen Euro.
Mag.a Maria Rösslhumer,
Politikwissenschafterin, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser – AÖF www.aoef.at, Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555, www.frauenhelpline.at; Vorstandsmitglied des österreichischen Frauenrings (ÖFR) www.frauenring.at; Von 1997 bis 2017 Geschäftsführerin des europäischen Netzwerks WAVE (Women Against Violence Europe). www.wave-network.org
Kontakt: maria.roesslhumer@aoef.at
Wir vom Frauenvolksbegehren fordern unter anderem besseren Zugang zu Einrichtungen für gewaltbetroffene Frauen* und Kinder und verstärkte Sensibilisierungs- und Präventionsprogramme sowie Antigewalttrainings. Hier geht es zur Forderung: Gewalt verhindern.