Digitale Werbebranche – Alles super?

Als ich gefragt wurde, ob ich meine Gedanken zum Frauenvolksbegehren teilen möchte, war meine Antwort mehr als eindeutig.
Ja, ich möchte Teil einer Bewegung sein, die sich für eine Gesellschaft im Gleichgewicht einsetzt. Ja, ich möchte mich klar gegen Frauenfeindlichkeit aussprechen und ja, ich möchte für eine Umgebung eintreten, die nicht auf Unterschiede pocht, sondern Potenziale erkennt.
Doch bin ich ein Mann der Vernunft und nicht des Übermuts. Ich maße mir nicht an, die Gesellschaft als solche zu beurteilen – ganz einfach, weil mir die nötige Erfahrung, aber auch die nötigen Einblicke fehlen.
Ich fühle mich jedoch mehr als fähig über jenen Bereich zu schreiben, der mir am nächsten ist und dessen Teil ich bin – die Werbe- bzw. Digitalbranche.
Ob all das, was ich gleich schreibe, auch für andere Branchen gilt? Ich vermute es, doch bleibt dies dahingestellt.

Ich gebe zu – viele Jahre ist es mir gar nicht aufgefallen – dieses latente Ungleichgewicht. Diese Neckereien. Dieses „Witzeln“. Ein Kommentar hier. Ein Kommentar dort. Viele männliche „Entscheider“. Viele „Macher“.
Kaffee holende Junior-MarketerInnen – nicht aus einem menschlichen Gefallen heraus, sondern aufgrund eines verschobenen Machtverhältnisses. Top ausgebildete Frauen, die aus reinem Kalkül zum (männlichen) Kunden mitgenommen werden. Scham- und respektlos.
Doch warum ist es mir so lange nicht aufgefallen? Hab’ ich gar weggesehen? Nicht mit Absicht. Nein.
Vielleicht ist es gesellschaftlich gelernt, was Frau oder Mann sieht. Wie soll ich erkennen, was ich selbst nicht spüre?
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Vielleicht habe ich es so lange nicht gesehen bzw. kein Bewusstsein dafür entwickelt, weil ich selbst davon profitierte?
Vielleicht war ich auch einfach zu naiv – zu naiv, um mir überhaupt nur vorstellen zu können, einen Menschen aufgrund seines Geschlechts zu bewerten.
Doch befinde ich mich in einer Branche, die, und das hätte ich nie erwartet, oft nicht frauenfeindlicher sein könnte.

Ich denke Chauvinismus gibt es überall. Ängstliche Männer gibt es überall. Geschlechtsspezifische Unterdrückung ebenso. Stereotype. Historisch gewachsene Ungleichheit. Doch liefert mir meine Umgebung den Beweis. Einen Beweis, den ich erst nicht annehmen wollte. Dafür schäm ich mich auch. Doch dann kam die Erkenntnis – ich lebe in einer frauenfeindlichen Branche, die damit Wachstum bzw. Weiterentwicklung hemmt. Doch warum gerade hier? Warum in einer Umgebung voll von jungem, neuem, frischem Blut? Eine Branche voll kreativer und aufgeklärter Menschen kämpft mit „historischen“ Problemen wie Geschlechtertrennung und Chauvinismus?

Die Erklärung ist vielschichtig und zugegebenermaßen höchst komplex und ich habe mit Sicherheit nicht die Antworten auf alle Probleme – doch erkenne ich ein Muster. Ich habe in den letzten Jahren viele erwachsene und verängstigte Männer kennengelernt. Männer, die sich hinter ihrer Überheblichkeit verstecken. Männer, die sich selbst verloren haben. Und wo? In ihrer Unwissenheit und ihrer vermeintlich kompensierenden Machtgier. Macht. Das ist es, was sie so oft antreibt. Doch genau dieses Machtbedürfnis, gepaart mit Unwissenheit, ergibt die Basis für eine feindselige Umgebung.
Führungspositionen sind meist männlich und findet man sich auf Branchenmessen wieder, erkennt man den Mann vor lauter Männern nicht.
In einer Branche, in der keiner weiß, was morgen ist, wird das Heute ein Kampf ums Überleben.

Was wie eine Entschuldigung für eben jene Männer klingt, ist mehr ein Vorwurf. Ein Vorwurf, den Anschluss verpasst zu haben und seine Position auf Biegen und Brechen und ohne Rücksicht auf Verluste halten zu wollen. Diese Angst, gepaart mit einer Portion Unfähigkeit „abzugeben“ und einer Prise Grundchauvinismus, resultiert in einem Arbeitsklima, das vor Ellbogen und phallischem Getue nur so strotzt.

Doch was ist die Lösung? Ich sage Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung. Und noch einmal: Aufklärung. Jeder Mensch, egal welchen Alters, egal welcher Herkunft und unabhängig seines Status in der Gesellschaft muss sich im Umgang mit anderen Menschen an Regeln halten. Muss. Hier gibt es keinen Platz für Diskussionen und es liegt in unserer aller Verantwortung dieses Recht zu schützen. Machtmissbrauch lebt (auch) von all jenen, die nur zusehen. Er wächst mit unserem Todschweigen, unserem Weghören und unserem Wegsehen. Alleine ist es schwer sich zu erwehren. Zu groß können gesellschaftlicher Druck, Wettbewerb und Scham sein. Gemeinsam sind wir jedoch stark.
Werte wie Respekt, Integrität aber auch Mut müssen, ja, müssen, wieder Platz in unserer Gesellschaft finden. Es gilt die Renaissance der Würde und der gegenseitigen Achtung einzuläuten.
Top-down bedarf es einer klar Stellung beziehenden Geschäftsführung, die mit absoluter Härte gegen sexuelle Belästigung vorgeht – Bottom-up hingegen einer Kultur der gegenseitigen Unterstützung und einem klaren Entgegentreten all jenen gegenüber, die sich respektlos, unterdrückend oder gar belästigend verhalten.

Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung dürfen kein Tabuthema mehr sein. Solidarität ist gefragt.
Treten wir all jenen gegenüber, die sich ihrer vermeintlichen Macht bedienen, um ihre Position zu halten oder gar zu verbessern und zeigen wir Entschlossenheit all jenen, die nicht zu lernen bereit sind.
Macht ist ein Vorrecht, Machtmissbrauch ein Unrecht.
Sie kann sich erst dann entfalten, wenn sie geteilt wird – zwischen jenen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und jenen, die mit ihr umzugehen wissen.

Ob ich immer fehlerfrei war? Mit Sicherheit nicht. Ob ich in vergangenen Tagen auch einmal Grenzen überschritten habe? Vermutlich.

Mir persönlich hat eines sehr geholfen: die Erkenntnis, nicht alles wissen zu können gepaart mit der Motivation, mich in meinem Fachgebiet stets weiterzubilden.
Somit ist beruflicher und privater Erfolg für mich eines: nämlich Teamarbeit.